(Text aus dem Jahr 2020)
Sebastian Hotz ist 24 Jahre alt und Twitter-Deutschlands Shooting Star. Unter dem Namen El Hotzo unterhält er Hunderttausende Menschen mit seiner Sicht auf die Welt – eine Geschichte von Schund, Schönheit, Ladendiebstahl und dem, was die Zukunft bringt
Gott war noch nie in Geiselwind, so viel steht fest. Die Sonne brennt erbarmungslos herab auf den Plattenbau von Kirche: Vergilbte Fassade, daran eine winzige rote Digitaluhr. „KOMMT ALLE…“ lädt das Gebäude wenig überzeugend ein, „LICHT AUF UNSEREM WEG“ steht darunter – ein bisschen sieht sie aus wie eine Hochzeitskapelle in Las Vegas. Sebastian Hotz ist entzückt. Strohblonde Haare, Umhänge-Beutel, Nike-Sneaker, die Beine voller selbstgestochener Tattoos. „Hunde Beste“ steht über seinen Knien, „Flake“ am linken Schienbein, „Turbo“ auf dem rechten Oberschenkel, links das Ofensymbol für 200 Grad Ober- und Unterhitze. Mit dem Handy fängt er die Umgebung des ehemals blauen Hotels neben der Kirche ein. Was früher mal ein Pool war, ist jetzt eine widerlich grüne Suppe. Algen und drückende Hitze. Lächelnd sieht Sebastian auf sein Handydisplay. Er ist Pool-Enthusiast, plane einen Bildband. Wo kaum jemand etwas Interessantes entdeckt, ist er im siebten Himmel. Nein, Gott war noch nie hier – dafür hat Johnny Cash hier mal gespielt. Geschlossener Erotikmarkt, Tankstellen, KFC und Berge von Müll: Wir sind in Geiselwind, dem größten Autohof Deutschlands. Duftwolken von Frittierfett wabern über die Asphaltwüste, über verdorrtes Gras, auf dem ein halb kompostierter Reifen liegt. Unter hochgeklappten Motorhauben suchen Fernfahrer schmalen Schutz vor der stechenden Sonne. Beherzt fährt ein SUV gegen eine herumstehende Plastikabsperrung: Es scheppert, aber niemanden im Wagen scheint es wirklich zu interessieren. Über allem thront majestätisch das leuchtend gelbe McDonald’s-Schild – das stumme Götzenbild des Niemandslands, gut sichtbar für alle Gläubigen auf der A3. Das alles wollte Sebastian sehen. Er hat sich diesen Ort für das Treffen ausgesucht. Es ist sein Hang zum Bizarren, zur Schönheit unter dem Schund, der ihn hierhergeführt hat.
Als er 2017 Twitter zu seinem Tagebuch machte, hätte er nie mit dem gerechnet, was heute ist. Damals, als er sich entschied, seine Gedanken lieber ins Netz zu schreiben als in ein richtiges Tagebuch, wie seine Therapeutin es ihm geraten hatte. Wer sollte sie denn da lesen? Ein Jahr später scharte sich ein überschaubarer Kreis von Followern um das, was @elhotzo zu sagen hatte. Inzwischen sind es auf Twitter über 50.000, auf Instagram fast eine Viertelmillion. Posts wie „ein guter Wodka-Energy muss nach Ladendiebstahl schmecken“ haben ihm Online-Berühmtheit beschert: Tweets, die völlig abstrus sind – und doch wahr erscheinen. Neugierig beäugt Sebastian die Glasscheibe über dem Eingang der Autohof-Kapelle: Gelbe Buchstaben heißen potenzielle Besucher willkommen. Chinesisch, Englisch, Spanisch. „Glaubst du, die Sprachen sind nach Häufigkeit der Nationalitäten, die hier sind, geordnet?“, fragt er verschmitzt. Er ist in seinem Element.
Aufgewachsen ist Sebastian Hotz in einem Hundertzwanzig-Seelen-Dorf in der oberfränkischen Provinz. Klassenclown. Trotzdem wenige Freunde, viel Zeit allein in seinem Zimmer. Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Unklar über die eigene Sexualität, der bisexuelle Junge aus dem prüden Kaff. Angst davor, schwul zu sein. Therapie, Lithium, Medikamente. Seine stumpfe Bürojob-Zeit ist noch gar nicht lange her: Der Arbeitsalltag, die deprimierend eindimensionalen Kollegen – das alles war nicht seine Welt. Den ganzen Tag schlug Sebastian Firmenzeit tot. „Man könnte sagen, ein Cringefest, aber es war auch das Schönste auf der Welt, weil darüber kann man sehr viele Tweets schreiben, wenn man sechs Stunden am Tag auf Twitter hängt, statt zu arbeiten“, belächelt er das rückblickend. Was er bei der Arbeit tatsächlich tat, fiel nie jemandem auf. Im Gegenteil: „Das Krasse ist, dass ich immer gelobt worden bin dafür, dass ich so effektiv wäre und dass ich so fleißig wäre und ich habe einfach viel gelogen“, grinst er. Niemand wusste etwas von Sebastians zweitem, digitalen Zuhause. „Ich wollte halt nicht, dass Freunde das lesen“, meint er nachdenklich. Eines Tages tippt Arthur Aufrecht Sebastians großen Vorbild-Tweet ins Netz: „Frauen stehen auf Typen, die sie beim ersten Date zu ihrem Stamm-Minigolfplatz mitnehmen und schweigend-konzentriert jeden Ball reinwürgen“ – für ihn bleibt das unübertroffen. „Da sitzt jedes Wort. Und der ist drei Jahre alt, dieser Tweet. Das war so der erste, den ich richtig funny fand“, grinst er, „den hab ich mal an eine Autobahnbrücke geschrieben.“ Hotzo lacht. Von der Sicherheit seiner Zukunftsaussichten abgeschreckt, kündigt er seinen verhassten Job, zieht nach Bielefeld, beginnt ein Studium. Runter vom sicheren Pfad, rauf auf den eigenen. Auch wenn das Verhältnis zu seinen Eltern nicht halb so schlecht ist, wie man vermuten könnte, steht der Internet-Fame zwischen ihnen wie ein großes, unausgesprochenes Geheimnis. Inzwischen müssen sie etwas wissen. Die Leute sprechen sie auf ihren Sohn an.
Am Tag setzt Sebastian etwa 10 bis 20 Tweets ab. Kein Arbeitsdruck, kein Pensum. Seine Sorgen und Ängste verwandelt er in Witze. Dinge, die ihm einfallen, landen im Feed seiner Jünger. Ein Egozentriker unter Egozentrikern, so sieht er sich. „Ich glaube, jede und jeder, die auf Twitter oder in der Öffentlichkeit irgendwas machen, haben auf jeden Fall dieses Bedürfnis, irgendwie gemocht zu werden, auch wenn das bei vielen nicht so wirkt“, sagt er abgeklärt. Heiratsschwindler-Charme. „Nicht Twitter ist die Sucht, sondern die Sucht ist die Anerkennung Fremder und die Anerkennung Fremder ist halt einfach so ein beiläufiger Klick auf ein Herz.“ Dieses einzelne Herz, das ist nichts wert. Nichts. Erst zu Tausenden machen Herzen die digitale Anerkennung messbar. Die Liebe Fremder, das ist Hotzos Lohn. Für einen guten Joke tritt er auf seine eigene Menschenwürde.
Manchmal ist Twitter eine babyblaue Wunderwelt, in der Freundschaften geschlossen und Meinungen ausgetauscht werden. Manchmal ist es aber auch eine toxische Halbwelt, Bubble und Echokammer, in der sich Leute anfeinden und andere diskriminieren. „Also, ich habe alle guten Menschen, die ich in meinem Leben im Moment habe, auf Twitter kennengelernt. Aber es kann so toxisch sein und es kann dich so fix und fertig machen und ich glaube, einer der großen Vorteile, warum mir Twitter so gefällt, ist dass ich halt einfach ein weißer Cis-Mann bin. Ansonsten gehst du durch die fucking Hölle.“ Er kann sein Zuhause nicht hassen. Hotzo möchte gar nichts hassen. Er hat das Kritisieren satt, tut es dennoch. „Ich trete ja auch nach oben, wenn ich sage, dass ich zum Beispiel Jan Böhmermann nicht so gut finde“, gibt er zu. Der folgt ihm zwar, wie viele deutsche Prominente, aber so viel Ehrlichkeit muss sein. „Oder dass ich Gemischtes Hack scheiße finde“. Dass er einen der beiden persönlich kennt, tut dabei nichts zur Sache. „Ich sag’s dir wie’s ist: Tommi Schmitt ist privat unendlich lieb und der ist saunett“, sagt Hotzo und lächelt. Es geht bergauf. Er jobbt nicht mehr in der Bäckerei, Patreon zahlt seine Miete. Bald will er nach Berlin ziehen, da leben seine Freunde. Sein Studium wird er wohl abbrechen. Hotzos Profile sind inzwischen sein Portfolio, sie verschaffen ihm Jobs – im Writers‘ Room einer öffentlich-rechtlichen Produktion, Buch- und Werbeangebote. Alles fliegt ihm zu, vieles lehnt er ab. Werbung für Dating-Portale zum Beispiel. „Ich bekomme dafür echt einen Arsch voll Kohle, aber gleichzeitig macht sich dann Tinder dafür angreifbar, weil dann ein Typ, der mal gefordert hat, Jeff Bezos eine Guillotine vors Haus zu stellen, für die Werbung macht“, denkt er laut und lacht über die Vorstellung, „und das ist halt auch für die ein vermintes Feld.“ Er ist keine einfache Werbefläche. Es würde ihn auch seine Authentizität kosten. Ständig rechnet er mit dem Ende des eigenen Hypes – doch dann steigen die Zahlen noch weiter. Sollte es irgendwann nur noch dafür reichen, will er aus Twitter so viel Geld herausquetschen, wie es geht. „Und dann lösch ich diesen Account irgendwann. Und das wird das Geilste.“